Covid-19 und das Lebensmittelhandwerk in Leipzig und Umland

Backstein

Nachdem der Leipziger Ernährungsrat e.V. im April mit landwirtschaftlichen Betrieben über die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf ihre Produktion gesprochen hat, wollen wir in diesem Monat wissen, wie es dem Lebensmittelhandwerk in der Region geht. Die Bäckerei Backstein, die Plagwitzer Brauerei und der Ziegenhof Schleckweda haben uns erzählt, wie sie den Lockdown erlebt haben, was ihnen Sorgen bereitet und was sie hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt.

Positive Vibes trotz Krisenzeit

In Leipzig ist der Frühling angekommen: Die Temperaturen steigen, Menschen treffen sich in Parks und genießen die Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Cafés und Restaurants, die sich ein sorgfältiges Hygienekonzept überlegt haben, dürfen ihre Türen wieder öffnen und so scheint es fast, als hätten wir die Pandemie allmählich hinter uns gelassen.

An einem sonnigen Tag zur Mittagszeit vor Backstein, der Bäckerei für zeitgenössisches Brot, scheint auf den ersten Blick auch alles beim Alten zu sein: Menschen stehen geduldig wartend in einer Schlange vor der Bäckerei oder sitzen mit einem Focaccia in der Hand auf einem der Holzpodeste, die auf der angrenzenden Wiese als Sitzgelegenheiten bereitstehen. Dort haben auch wir uns mit Pascal Rubertus, Bäckermeister und Inhaber der Bäckerei im Leipziger Musikviertel, niedergelassen und beginnen unser Gespräch. Zum Bäcker*innenhandwerk sei er auf Umwegen gekommen. Erst mit 40 Jahren habe er die Lehre begonnen, nachdem er einen Sommer lang viel gebacken und sich belesen habe, so Rubertus. Noch während der Ausbildung wird ihm klar, dass er einen Meister machen und eine eigene Bäckerei eröffnen will. „Denn das, was ich hier produziere, wird so nicht im Schulbuch gelehrt“, erzählt er uns.

Seit ein bisschen mehr als zwei Jahren bäckt Rubertus nun schon in der Grassistraße und wie es scheint, mit großem Erfolg. Woher dieser kommt? Aus seinen früheren Jobs habe er gelernt, dass es keine bessere Werbung gebe als gute Produkte zu machen. Zwar ist Backstein auch auf Social Media präsent, doch diese Kanäle nutze er nur, um die Menschen auf dem Laufenden zu halten und mit anderen Bäckereien zu kommunizieren.

Pascal Rubertus in der Backstube seiner Bäckerei Backstein. Copyright: Backstein

Rubertus Antwort auf die Frage, wie die aktuelle Covid-19-Pandemie ihn und sein Lebensmittelhandwerk betrifft, überrascht uns daher nicht. „Eigentlich fast nur im Positiven“, berichtet er. Die gastronomischen Abnehmer*innen wie Cafés und Restaurants seien nach dem Lockdown natürlich erst einmal weggefallen. Dadurch habe sich aber auch die Möglichkeit ergeben, die Brote direkt an Endkund*innen weiterzuverkaufen. Dies sei Dank täglicher Schlange vor der Bäckerei kein Problem. Einen möglichen Erklärungsversuch hierfür liefert Rubertus direkt mit: „Vielleicht liegt es daran, dass die Leute tatsächlich gehört haben, dass es gut ist, sich gesund zu ernähren. Nun haben sie Zeit loszugehen, sich gute Produkte zu kaufen und sich mit gesunder Ernährung auseinanderzusetzen.“ Die Produktion im Backstein sei mit Corona sogar gestiegen und führe mit dem Wiedereröffnen der gastronomischen Betriebe nun dazu, dass die Bäckerei produktionsbedingt an ihre Kapazitätsgrenzen stoße, erzählt er weiter.

Doch ganz ohne Unsicherheiten ist die Zeit der Pandemie auch an Pascal Rubertus und seinen Mitarbeiter*innen nicht vorbeigegangen: „Wir hatten natürlich erst einmal Bammel und wirklich Angst davor, was jetzt kommt.“ Doch statt in der Unsicherheit zu verharren, hat sich das Backstein-Team den Umständen angepasst. Der „Wiesen-Kaffee-Kuchen-Service“ sei kurzzeitig komplett eingestellt und die Produktion auf die reine Brotversorgung umgeschwenkt worden. Zudem habe er neue Produkte mit ins Sortiment aufgenommen und einige dafür herausgestrichen, berichtet Rubertus. Auf Rohstoffengpässe habe er ebenfalls flexibel reagiert: „Einmal gab es keine Hefe mehr, da haben wir einen Tag lang ohne Hefe und alles nur mit Sauerteig gebacken. Das hat für vier von fünf Produkten super geklappt.“ Und auch in seiner Verkaufsweise habe er sich den gegebenen Umständen und Hygieneverordnungen angepasst. Vor Corona konnten Kund*innen in die Backstube eintreten und dort direkt am Tresen Brote, Focaccia und weitere Backwaren kaufen. Durch Corona sei Rubertus klar geworden, dass sie den Verkauf in der Backstube nicht fortführen können und sich einen neuen Weg für den Hausverkauf überlegen müssen. So entstand die Idee des Fensterverkaufs, den der Bäckermeister nun auch weiterhin beibehalten will.

Pascal Rubertus hat sich von der Krise nicht lähmen lassen. Er hat neue Wege entwickelt, um das Bestehen seines Handwerks und seiner Bäckerei Backstein sicherzustellen. Damit ist er seinem Anspruch gefolgt, Probleme als Herausforderung zu sehen und immer das Beste aus einer Situation zu machen. Zudem habe er als Bäcker eine „Vorreiterfunktion“ und wolle daher auch in Zukunft auf nachhaltige und gute Zutaten setzen. Die Frage, ob das Lebensmittelhandwerk gestärkt aus der Krisenzeit hervorgehen wird, beantwortet Rubertus mit einem klaren Ja: „Die Menschen haben in der Krise ihr Bewusstsein für gesunde Ernährung und die Regionalität von Produkten gestärkt.“

Mit seiner etablierten Bäckerei zeigt uns Pascal Rubertus, dass das Lebensmittelhandwerk durchaus auch Positives aus den Krisenzeiten ziehen kann. Doch wie steht es um Betriebe, die erst in diesem Jahr begonnen haben ihre Existenz aufzubauen?

Auf Sicht fahren in der Plagwitzer Brauerei

Jakob Treige hat das Brauerei-Handwerk in kleinen und familiengeführten Brauerei-Betrieben in Bayern gelernt. Aus familiären Gründen verschlug es den gebürtigen Berliner nach Leipzig, wo er vergangenes Jahr begann, seine eigene handwerkliche Brauerei – die Plagwitzer Brauerei – aufzubauen. Dort, in der wohl kleinsten Brauerei Leipzigs, die räumlich an die leuchtend blaue Markthalle von Egenberger Lebensmittel in der Makranstädter Straße angegliedert ist, haben wir ihn besucht.

Ein Jahr Arbeit und bis auf den letzten Cent alles, was sich der Brauer in zehn Jahren ansparen konnte, sind in den Aufbau der Brauerei geflossen. Kurz nach Neujahr dieses Jahres war es dann so weit: Das erste Bier war ausgereift. Die ersten Monate liefen gut, berichtet Treige. So konnte das Fassbier nach kurzer Zeit in einer guten Handvoll lokalen Kneipen und Gastronomiebetrieben in Leipzig genossen werden. Doch dann kam der Lockdown.

„Der verwundbarste Punkt, den man mit einer Firma haben kann, ist direkt nach der Gründung. Man muss tausend Gebühren bezahlen. Der Zoll kommt, die Steuer kommt und die Krankenkasse läuft,“ so Treige. Die Pandemie hat den Brauer und sein Geschäft an einem Punkt getroffen, an dem es keine Rücklagen mehr gab und gleichzeitig noch kein Geld zurückgeflossen war.

Jakob Treige vor der Hopfenmühle in seiner Brauerei. Copyright: Jacob Treige

Die ersten Wochen unter dem Lockdown verbrachte der Brauer mit „Kopfschütteln und Schockstarre“. Doch der Wunsch zu Handeln wuchs schnell. So begann Treige Ideen zu entwickeln, um seinen Gehaltsausfall auszugleichen und seine Brauerei zu retten. Schnell wurde ihm klar, dass er Bier im Wert von vielen Tausend Euro in seiner Brauerei stehen hatte. Eigentlich gebraut für Veranstaltungen und Straßenfeste, musste er sich jetzt etwas Neues für die vielen Liter Fassbier überlegen.

Seit Mitte April können Gutscheine für Bier, Brauerei-Führungen und Brau-Seminare bei der Plagwitzer Brauerei durch eine Crowdfunding Kampagne auf Startnext gekauft werden. Mit der Kampagne konnte Treige etwas Umsatz generieren und größere Schulden vermeiden. Dennoch reichen diese Gewinne nicht, um alle Rechnungen zu begleichen: „Das was da an Gewinn bleibt, das sind letztendlich nichtgemachte Schulden. Aber wenn man die Rohstoffe, die Arbeit und die ganzen anderen Kosten herausrechnet, bleibt da jedoch nicht viel hängen.“

Das ursprüngliche Konzept der Brauerei war der Verkauf von Fassbier an die lokale Gastronomie. Der Endkundenverkauf werfe zwar eine höhere Marge ab, jedoch sei das Abfüllen in Flaschen und der Verkauf ein zu großer Aufwand für einen Ein-Mann-Betrieb. Weil die Kneipen geschlossen hatten, musste Treige zusehen, dass er sein Bier trotzdem an den Menschen bringen konnte. Daher entschloss er sich kurzerhand sein Bier in Flaschen abzufüllen und von seiner Brauerei aus direkt an den Endkunden zu vertreiben. Durch ein kleines Fenster in seiner Tür zur Brauerei verkauft er das frisch abgefüllte Bier. Werbung musste er keine machen. Durch Social Media und Mundpropaganda hat sich schnell herumgesprochen, dass es hier köstliches und handwerklich gebrautes Bier gibt. Auch während unseres Gesprächs werden wir mehrfach unterbrochen. Zielstrebig steuern junge wie alte Menschen auf die kleine Brauerei zu und fragen nach dem Plagwitzer Bier.

Nach wenigen Wochen im Endkundengeschäft beschreibt der Brauer seine Erfahrung mit dem neuen Vertriebszweig als sehr positiv: „In den letzten Wochen habe ich gemerkt, wie schön es ist, zu sehen, wie das Produkt, für das ich den ganzen Tag gearbeitet habe, bei den Menschen ankommt. Außerdem ist es toll mitzubekommen, wie bunt die Mischung an Menschen ist, die mein Bier kaufen.“ Er beschreibt es als bereichernd von seinen Kund*innen direkt zu erfahren, wie seine Produkte bei ihnen ankommen. Und das wolle er sich – soweit möglich – auch für die Zukunft bewahren.

Seit Ende Mai haben die Kneipen in Leipzig wieder geöffnet. Doch Treige beobachte die Öffnung der Gastronomie noch mit Vorsicht. Man müsse sehen, ob die weniger bestuhlten Kneipen ähnliche Mengen abnehmen wie vor dem Lockdown. In den kommenden Wochen und Monaten werde er daher erst einmal „auf Sicht fahren“.

Was das Lebensmittelhandwerk im Allgemeinen betrifft, blickt Treige optimistisch in die Zukunft. Viele Menschen, die es für gewöhnlich in der Urlaubszeit in die Ferne treibe, würden wieder ein Bewusstsein „für das Schöne vor der Haustür“ entwickeln. Er glaube, dass damit auch eine neue Wertschätzung für lokale Produzent*innen, Händler*innen und Wertschöpfungsketten entstehe. So würden Menschen dieses Jahr zum Beispiel Urlaub im Spreewald machen: „Dort gibt es guten Schnaps und Gurken, und viele werden das dieses Jahr kennenlernen, die sonst eigentlich in Neuseeland Tauchen wären.“

Auch in den vielen neu entstandenen Allianzen sieht der Brauer großes Potential. Neue Formen von Solidarität hätten sich entwickelt und Kooperationen seien geknüpft worden, die unter anderen Umständen vielleicht niemals zustande gekommen wären. Treige ist überzeugt, „dass von diesem sozialen Gefüge, was da entstanden ist, viel bestehen bleibt.“

Trotz Existenzgründung und finanzieller Unsicherheiten blickt Jakob Treige ebenso wie Pascal Rubertus positiv in die Zukunft. Beide haben mit Flexibilität auf die veränderten Bedingungen durch Covid-19 reagiert und sich ihre positive Grundeinstellung nicht nehmen lassen. Zwar fiel bei beiden der Verkauf ihrer Produkte an gastronomische Betriebe weg, durch ihre gute Lage im Leipziger Stadtgebiet konnten Bier und Backwaren aber unkompliziert an Endkund*innen verkauft werden.

Gelassenheit im Dreiländereck

Wir wollten wissen, wie es dem Lebensmittelhandwerk außerhalb großer Städte in Pandemiezeiten geht und haben uns daher zu einem Telefoninterview mit Igor Blume vom Ziegenhof Schlweckweda verabredet. In den Ausläufern des Vogtlandes im Dreiländereck Thüringen – Sachsen-Anhalt – Sachsen werden auf einer Fläche von 20ha derzeit 60 Ziegen gemolken. Seit dem Jahr 2001 betreiben die Blumes mit ihrer Tochter Charlotte zwischen Zeitz und Gera den Ziegenhof Schleckweda. Die Milch verarbeitet Astrid Blume in der Hofkäserei des denkmalgeschützten Vierseithofs aus dem 18. Jahrhundert. Vermarktet wird direkt über den Hofladen und Läden im Umkreis von 50km, vorzugsweise in Leipzig und Naumburg. Durch das Studium der Landwirtschaft und Agraringenieurswissenschaften in Witzenhausen lernte sich das Paar kennen. Während eines Praktikums lernten die beiden die damaligen Inhaber*innen des Ziegenhofes kennen. Nach dem Studium entschieden sich die Blumes, den seit 1991 geführten Ziegenhof zu übernehmen und das Käsereihandwerk fortzuführen.

Auf unsere Frage, wie ihr Handwerk derzeit von der Krise betroffen sei, macht Herr Blume deutlich, dass sich ihr Alltag nicht verändert habe und der Betrieb weiterhin produziere: „Wir versorgen die Ziegen, wir verkäsen die Milch und können ja auch über den Hofladen weiter vermarkten.“ Ihre Kund*innen hingegen waren teilweise eingeschränkt: Durch die Lage des Ziegenhofs im Dreiländereck, war zwischendurch unklar, ob beispielsweise Menschen aus Sachsen den Hof noch aufsuchen dürfen. Die Produktion sei aber die ganze Zeit über gesichert gewesen, erzählt uns Igor Blume.

Das Hofteam des Ziegenhofs Schleckweda: Tochter Charlotte, Micha, Astrid und Igor. Copyright: Astrid und Igor Blume

Auch die Blumes beobachten insgesamt einen zunehmenden Anstieg beim Kauf regionaler landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Ob dies nun eine langfristige Folge der Pandemie sei, bliebe abzuwarten: „Wir müssen beobachten, wie sehr die Leute dann bei der Stange bleiben und ob sie auch über die Pandemie hinaus weiter bei regionalen Bäuerinnen und Bauern kaufen.” Mit der finanziellen Unterstützung vonseiten der Politik sei der Landwirt eigentlich zufrieden; dies hätte unkompliziert geklappt. Zudem sei der Ziegenhof noch relativ glimpflich davongekommen. Zwar gäbe es schon Einbußen aufgrund von Feierlichkeiten und Veranstaltungen, die abgesagt werden mussten, doch wenigstens die Angestellte konnte durch die Finanzmittel weiterhin entlohnt werden.

Um die Vermietung von Ferienzimmern – ein weiteres Standbein des Ziegenhofes – wieder aufnehmen zu können, hat Astrid Blume einen Leitfaden für die erforderlichen Hygienemaßnahmen entwickelt. Die Entscheidung, ob das für Anfang Juli geplante Hoffest stattfinden kann oder nicht, steht allerdings noch aus. Hier bleibt Igor Blume gelassen, Besucher*innen und Kund*innen würden verstehen, wenn alle aktuell etwas kürzer treten und Feste abgesagt oder verschoben werden müssen.

Wie es scheint, hat die Corona-Pandemie das Lebensmittelhandwerk zwar unvermittelt getroffen, aber in der Mehrheit der interviewten Betriebe nicht zu besorgniserregenden Ausfällen in Produktion und Verkauf geführt. „Viele Leuten haben gemerkt, was Solidarität bedeutet und dass man die permanente Hektik, die vorher so viel zu spüren war, eigentlich gar nicht braucht”, bewertet Pascal Rubertus die Situation abschließend. Sowohl er als auch Jakob Treige und die Blumes nehmen ein Gefühl der Entschleunigung und großen Unterstützung mit in die zweite Hälfte des Jahres. Für neu gegründete Betriebe wie den von Jakob Treige aber bleibt ein Gefühl der Unsicherheit darüber zurück, was die kommenden Monate bringen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Lockerungen der Maßnahmen und die allmähliche Rückkehr zu einer Normalität wie sie vor Corona der Fall war, das Band der Solidarität und das gestärkte Bewusstsein für regional produzierte Produkte nicht einreißen lassen.

 

Autorinnen: Carolin Dahms, Lotta De Carlo und Elisabeth Reich
Beitragsbild: Handgebackenes Baguette aus der Bäckerei Backstein, © Pascal Rubertus

 

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